Der österreichische Jazzpianist und Komponist Martin Gasselsberger hat sich mit
seiner umfangreichen Live-Tätigkeit und seinen zahlreichen, vielbeachteten
CD Veröffentlichungen einen klingenden Namen gemacht, weit über die
österreichischen Landesgrenzen hinaus. Nun beschäftigt er sich mit der
Königsdisziplin jedes konzertierenden Musikers: mit dem völlig frei improvisierten
Solo-Konzert. Die Ausgangssituation für ein derartiges Hörerlebnis ist sowohl für
den Künstler als auch für das Publikum grundsätzlich dieselbe. „Wir wissen alle
nicht, wohin diese musikalische Reise geht“, gab der Pianist anlässlich seines
Klavierabends vom 15. Oktober 2022 Einblick in seinen Zugang.
Gasselsberger stellt bei dieser CD-Einspielung (ATS Records) im Innsbrucker Haus
der Musik sein anfängliches Tonmaterial mit kurzen Motiven vor, die er unmittelbar
in Beziehung setzt, vorsichtig und für das Publikum immer nachvollziehbar verbindet
und entwickelt. Danach zieht er 76 Minuten lang alle Register seines pianistischen
und improvisatorischen Könnens. Lang im Raum stehende Einzeltöne vermehren
sich zu perlenden Klangvorhängen, neue lineare Ideen und Stimmen weben sich
allmählich fugenartig und kontrapunktisch in die vorwärtsdrängenden, immer wieder
stoppenden und neu anstartenden, ausladenden, virtuos phrasierten Melodiebögen
der rechten Hand. Harmonisch bleibt der Pianist als Komponist des Augenblicks
tonal, beheimatet in den Welten von Klassik, Jazz und Pop, wobei der deutlich
macht, wie nahe sich diese Genres in der unmittelbaren Konfrontation und
Kombination ihrer musikalischen Elemente kommen können.
Ziel jedes Solo-Konzertes und gleichzeitig der Zustand von Konzentriertheit und
Offenheit gegenüber den eigenen Ideen ist der „Flow“, wie Gasselsberger im
Rahmen seiner Konzertvorbereitungen bemerkte. Der Flow ist die Währung und der
Bund zwischen Künstler und Publikum, er schafft ein Band des Vertrauens, flexibel
und dehnbar. Spannend und unausrechenbar für beide Seiten bleibt, wie der Flow
trägt und wo er hinführt. Die Musik des Oberösterreichers lässt sich jedenfalls
gleichermaßen lohnend analytisch erfassen als auch emotional genießen.
Übrigens wurde der Konzertmitschnitt nachträglich weder inhaltlich noch klanglich
verändert. 100% pur bleibt dieses einzigartige Ereignis für aufmerksame
Zuhörer:innen dokumentiert. Gasselsbergers Performance kann in einem Zug mit
den bemerkenswertesten improvisierten Solo-Konzerten weltweit genannt werden
und fügt der Gattung ein beachtliches Highlight hinzu. (Günther Wildner)